Streitkultur

08.07.2011

Dem deutschen Fernsehen geht es gut. Richtig gut. Die einen müssen sich ihr Geld verdienen, die anderen geben es aus. Dabei äffen letztere die Geldverdiener nach und meckern rum, dass sie es selbst nicht hinkriegen. Das ist —überspitzt zusammengefasst — die „Message“ des Panorama-Beitrags „Das Lügenfernsehen“.

Dass der Beitrag von Frau Reschke als solches ein Fake ist, lässt sich erst auf den zweiten Blick erkennen. Zugegeben; „Sturm der Liebe“ oder wie die ganzen Tiefflieger-Formate des Tagesprogramms heißen, sind so blöd geskriptet, dass selbst ein Pflasterstein merkt: Das kann unmöglich wahr sein! Diese Formate klammert Frau Reschke daher aus. Vielmehr setzt sie sich mit dem Problem auseinander, dass bei RTL & Co. — im Gegensatz zum Alternativangebot der Gebührensender — tatsächlich Grips erforderlich ist. Dann merkt man, dass sich hier jemand wenigstens die Mühe gemacht hat, so zu tun, als würde er sich ernsthaft um wie auch immer geartete Unterhaltung bemühen.

Während bei ARD/ZDF die Übelkeit beim Tagesangebot unvermittelt einsetzt, kann man sich über RTL & Co. wenigstens schlapp lachen. Sollte der Zuschauer tatsächlich so ein DAF (Dümmster anzunehmender Fern-Seher) sein, wie Frau Reschke uns glauben machen will, bekommt der wenigstens eine ordentliche Illusion geboten. Bei ARD/ZDF gibt man sich stattdessen der Illusion hin, man böte was Besseres. Allerdings ist es das keineswegs per Se, bloß weil es Gebühren verbrennt.

Es hat etwas von Stammtisch-Streitkultur, wenn man in einem vermeintlich objektivem, unabhängigen Bericht lediglich sagt, was DIE ANDERN alles Schlimmes und falsch machen. Dass die eigenen Haufen ebenfalls gewaltig müffeln, geht im allgemeinen Stallgeruch unter. Denn das, wonach hier gerufen wird, findet gebührenpflichtig nur noch zur nachtschlafenen Zeit statt — so wie der hier kritisierte Beitrag, dessen allgemeine Kritik ja durchaus berechtigt ist. Allerdings ist es fragwürdig, die Messlatte nur beim Nachbarn anzulegen, während die eigene Hecke mit ordentlich Gebührendünger unkontrolliert vor sich hinwuchert.

Wo liegt denn z.B. der investigative, informelle und vor allem gebührenfinanzierte Wert, wenn die beiden Haupt-GEZ-Sender zeitgleich eine Hochzeit aus England übertragen? Die parallel auch bei RTL und anderen Selbstfinanzierern läuft? Das wirft im Hinblick auf den Panorama-Beitrag mehr als eine Frage auf. Denn die Gescholtenen müssen sich das Geld für ihre Sendezeit verdienen, die Scheltenden nicht. Wenn man sich dann nur traut, die Schelte denen zu zeigen (Nachtprogramm), deren Zustimmung man sich sicher wähnt, hat das ganze „Geschmäckle“. Käme der Beitrag statt „Sturm der Liebe“ könnte man Ernsthaftigkeit unterstellen. So reiht sich der Bericht selbst in die Reihe der kritisierten Formate ein. Denn letztendlich macht er genau das Gleiche: Dem verfügbaren Zuschauer möglichst reißerisch das bieten, was er vermeintlich gerne sehen möchte. Und der nachtschlafene Bildungsbürger = Panorama-Gucker findet GEZ-Fernsehen gut, egal was, Hauptsache von Gebühren finanziert. So die Annahme.

Sehr geehrte Panorama-Redaktion, sehr geehrte Frau Reschke: Eigentlich mögen wir Ihre Arbeit. Denn hier findet sehr oft das statt, was gebührenfinanzierter Rundfunk sein sollte. Aber „Lügenfernsehen“ ist auch, wenn man gezielt selektiv berichtet. Z.B. nur über Akzeptanz bei der kommenden Rundfunkgebühr, aber den breiten Widerstand einfach ignoriert - der findet im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht statt. Oder wenn man die Eigenproduktionen ausklammert, die so dümmlich sind, dass dagegen die Scripted Reality der Privatsender aussieht wie Hochglanz-Kino für Intelligenzbestien. Was jetzt keinesfalls ein Lob für Letztere sein soll, sondern das Schlagen der Sturmglocke. Wenn man in der Lage ist, die Schwachstellen aufzudecken, sollte man gleichermaßen in der Lage sein, der Eigenwahrnehmung zu entsprechen und anfangen, die privaten Alternativen mal mutig zu über— statt zu unterfliegen.

Anmerkung [UPDATE]: Ein Auszug aus diesem Artikel wurde im Panorama-Forum gepostet. Wir waren sehr gespannt, ob er als Meinung von den Moderatoren zugelassen wird, oder der „Objektivität“ zum Opfer fällt. Ist er nicht.

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